Studieren ohne Abitur – 15 Jahre Öffnung von Hochschulen – Fortschritte und Entwicklungen seit dem KMK-Beschluss 2009
15 Jahre sind seit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) zum "Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber*innen ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung" vergangen. Die Veranstaltung der Arbeitsgruppe Offene Hochschule Niedersachsen (AG OHN) am 6. März 2025 nahm dies zum Anlass, die bisherigen Entwicklungen zu resümieren und Perspektiven zu diskutieren. Fachlichen Input zu dem Thema gab es von vier Referent*innen zu unterschiedlichen Schwerpunkten.
Zahlen und Fakten
Seit dem KMK-Beschluss von 2009 ist ein deutlicher Aufwärtstrend bei der Aufnahme eines Studiums ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung zu verzeichnen, so Referentin Anna-Lena Thiele vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Im Jahr 2021 studierten insgesamt knapp 70.000 Studierende ohne Abitur an deutschen Hochschulen – ein bisheriger Höchstwert. Der Anteil der Studierenden ohne (Fach-)Abitur ist in der letzten Zeit insbesondere an privaten Hochschulen gestiegen, mittlerweile sind 41,5 Prozent aller Erstsemester ohne (Fach-)Abitur dort eingeschrieben.
Der Blick auf die Entwicklung in Niedersachsen zeigt ein gemischtes Bild. Der Anteil der Studienanfänger*innen ohne Abitur stieg hier von 2010 bis 2019 kontinuierlich und erreichte mit 2,1 Prozent im Jahr 2022 den Höchststand. Gleichzeitig verzeichnete auch die absolute Zahl der Studierenden ohne Abitur mit 3.615 im Jahr 2022 einen Spitzenwert. Im Bundesländervergleich liegt Niedersachsen damit im Mittelfeld. Der Spitzenreiter ist Thüringen, beherbergt aber mit der IU Internationale Hochschule die bundesweit größte private Hochschule, welche deutschlandweit die meisten Studierenden ohne Abitur aufweist. In Niedersachsen hingegen schreibt sich die Mehrheit der Studienanfänger*innen an einer staatlichen Hochschule ein. Laut den Erhebungen des CHE studieren die meisten Studierenden ohne Abitur derzeit an der Jade Hochschule (11,85 Prozent), der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften (10,90 Prozent) und der Hochschule Hannover (9,64 Prozent). Auch an den niedersächsischen Universitäten ist der Anteil der Studienanfänger*innen (1,3 Prozent) im Vergleich zu Universitäten anderen Bundesländern hoch (Quelle: CHE Centrum für Hochschulentwicklung 2024 auf Basis von DESTATIS Daten | siehe Bild 4).
Praxiserfahrungen aus Niedersachsen
Die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg positioniert sich seit ihrer Gründung als Offene Hochschule. Insbesondere mit den Angeboten des Centers für lebenslanges Lernen (C3L), das bundesweit als einer der führenden Anbieter wissenschaftlicher Weiterbildung und berufsbegleitender Studiengänge gilt, kann die Universität auf zahlreiche Erfolge verweisen. Dr. Joachim Stöter, Abteilungsleiter Offene Hochschule am C3L, verwies dazu auf aktuelle Zahlen: 600 Studierende in berufsbegleitenden Studiengängen, 600 Teilnehmende in Weiterbildungsprogrammen und über 750 Gasthörende sind ein Beleg dafür, dass die Angebote gut angenommen werden und die Hochschule sich erfolgreich für die Durchlässigkeit des Bildungssystems einsetzt. Auch die Einwerbung von Drittmittelprojekten, die etablierten Anerkennungs- und Anrechnungsverfahren sowie die Vernetzung über die Bundeslandgrenzen hinaus wirken sich positiv aus. Die Ansprache heterogener Zielgruppen (auch ohne Abitur) wirkt, allerdings muss der "Öffnungswille" stetig eingefordert werden, so Herr Stöter (siehe Bild 6).
Die HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen sieht für sich beim Thema Offene Hochschule Handlungsbedarf, wie Karen Neubauer von der Zentralen Studienberatung der HAWK berichtete. Bisher kann die HAWK u.a. auf das gut etablierte und erfolgreiche Programm "Studienstart Plus" verweisen. Hier werden Studierende mit besonderen Herausforderungen z.B. mit einer nichtdeutschen Muttersprache oder nach einer langen Lernpause durch eine individuelle Förderung und mehr Studienzeit in den ersten Semestern unterstützt.
Weitere Ansätze, um weitere Möglichkeiten zur Öffnung der Hochschule an der HAWK zu finden, werden aktuell von Frau Neubauer in einem Konzept erarbeitet. Dieses sieht ein Bündel an Maßnahmen vor, um das Thema Offene Hochschule sichtbarer zu machen und die Zielgruppe der Studierenden ohne Abitur gezielter anzusprechen. Entwicklungspotential wird auch im Bereich der Anrechnung und Anerkennung, der Schaffung flexibler Studienangebote sowie im Ausbau von Kooperationen und Netzwerken gesehen. Das erarbeitete Konzept soll im Oktober vorgestellt werden.
Einblicke in die Thematik Offene Hochschule Niedersachsen präsentierte Malgorzata Brauner, die seit Juni 2019 für die Koordination der OHN verantwortlich ist. Gemeinsam mit den Teilnehmenden erarbeitete Frau Brauner zuerst die Besonderheiten für Niedersachsen: Hier war der Zugang zu einem Hochschulstudium ohne Abitur bereits vor dem Beschluss des KMK über die Immaturenprüfung möglich. Wie wichtig der Schwerpunkt Offene Hochschule in Niedersachsen ist, zeigt auch ein Blick auf die Maßnahmen und Projekte der letzten 20 Jahre und eine kontinuierliche Unterstützung des Themas durch das Land Niedersachsen.
Entwicklungsbedarf besteht nach Frau Brauner u.a. bei der Flexibilisierung der Hochschulangebote bzw. der Öffnungspotenziale für Geflüchtete und Migrant*innen. In der Reflexion ihrer Erfahrungen als Koordinatorin nannte sie mehrere Erfolgsfaktoren für diese Aufgabe: die wichtigsten sind die Ansiedlung der OHN-Koordination bei einer anerkannten Einrichtung wie der Koordinierungsstelle für Studieninformation und -beratung in Niedersachsen (kfsn), eine hohe Identifikation mit den Zielen der Offenen Hochschule Niedersachsen und ein breites internes sowie externes Netzwerk.
Fazit
15 Jahre nach dem KMK-Beschluss ist die Quote der Studierenden ohne Abitur sowohl bundesweit als auch an den niedersächsischen Hochschulen im Vergleich zu früher zwar deutlich gestiegen, die Zahlen sind aber trotz Öffnungsbemühungen auf vielen Ebenen gering geblieben. Nach Angaben des CHE sind die bürokratischen und föderalistischen Rahmenbedingungen der Hochschulen und Bundesländer für Studieninteressierte ohne Abitur weiterhin eine Herausforderung.
Die Präsenz des Themas, die Anzahl der vorhandenen Angebote und die Maßnahmen, wie beispielsweise die Ansprache der Zielgruppen, variieren von Hochschule zu Hochschule stark. So ist auch die Anzahl der Studierenden an den niedersächsischen Hochschulen von Standort zu Standort unterschiedlich. Anwendungsorientierte Hochschulen mit flexiblen Studienformaten und guten Unterstützungsstrukturen werden von Studierenden ohne Abitur bevorzugt. Die demografische Entwicklung und der wachsende Fachkräftebedarf stellen Herausforderungen dar, die verstärkte Anstrengungen der Hochschulen in diesem Bereich notwendig machen.
Die Referent*innen und Teilnehmenden der Veranstaltung am 6. März betonten, dass das Thema an allen niedersächsischen Hochschulstandorten nach wie vor von großer Bedeutung ist und weiterhin Unterstützung benötigt. Dank einer zentralen OHN-Koordination können die Bemühungen der Hochschulen besser gebündelt und für die Zielgruppe sichtbar gemacht werden.
Wir bedanken uns herzlich bei allen Referent*innen und Teilnehmenden, die zu diesem gelungenen Austausch beigetragen haben, sowie bei der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung (AEWB) Niedersachsen für die gemeinsame Ausrichtung der Veranstaltung und bei der Leibniz Universität Hannover für die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten.