Kontroverse um Mathematik-Vorbereitung in Schulen

"Um wie viel Prozent ändert sich der Flächeninhalt eines rechtwinkligen Dreiecks, wenn man eine Kathete um 20 Prozent verkürzt und die andere um 20 Prozent verlängert?" So lautet eine Beispielaufgabe aus der Mathematik-Klausur am Ende des ersten Semesters im Bachelor-Studiengang Bauingenieurswesen. Doch die Studierenden könnten Aufgaben wie diese aus dem Mittelstufenstoff oft nicht mehr lösen – das beklagen Professoren und Lehrkräfte in einem offenen Brief, den der "Tagesspiegel" veröffentlichte. Und eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Ebenfalls im "Tagesspiegel" weisen 50 andere Mathematik-Professoren die Kritik in einer Stellungnahme zurück.

Mehr als 130 Unterzeichnende kritisieren in ihrem Brandbrief den Mathematik-Unterricht: Der Stoff würde "nur noch oberflächlich vermittelt, eine tiefere inhaltliche Beschäftigung" finde nicht mehr statt. Die Aufgaben seien nicht klar formuliert und würden nicht mehr aufeinander aufbauen, sondern seien statt dessen schwer verständlich und würden Wissen nur "häppchenweise" vermitteln. Nicht mehr ausreichend sei deshalb das mathematische Vorwissen von vielen Studienanfängern im WiMINT-Bereich – die Abkürzung steht für Fächer aus Wirtschaft, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – sodass die unterzeichnenden Professoren, Lehrer und Dozenten sechs Forderungen für einen fachlich besseren Mathematikunterricht aufstellen. Unter den Adressaten ist auch die niedersächsische Kultusministerin Frauke Heiligenstadt.

Etwa zwei Wochen später distanzierten sich mehr als 50 Mathematik-Professoren von der Kritik ihrer Kolleginnen und Kollegen. In einer Stellungnahme, die ebenfalls der "Tagesspiegel" veröffentlichte, unterstützen sie zwar "das Anliegen einer besseren Mathematikausbildung an den Schulen", finden die Ursachenanalyse jedoch "erkennbar falsch". Anstelle von Schuldzuweisungen solle "konstruktiv und wissenschaftlich fundiert" mit dem Problem umgegangen und an Bildungsfragen gearbeitet werden, damit die Studienanfänger besser vorbereitet würden.

Hintergrund des ersten offenen Briefs: Neben einer unerwartet schlechten Durchschnittsnote bei der Probeklausur für das laufende Hamburger Abitur mit exemplarischen Aufgaben erinnern die Unterzeichnenden an das Mathematik-Abitur in Niedersachsen 2016. Damals hatten Beschwerden und Proteste von Schülern und Lehrern dazu geführt, den Bewertungsmaßstab nach unten zu senken, weil die gestellten Aufgaben viel zu schwer waren – dies seien erste "alarmierende Symptome für die Krise der Mathematikausbildung an den Schulen".

Offener Brief
Stellungnahme 

 

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